Kein Gas mehr aus Russland? Dies könnte uns wirtschaftlich hart treffen.
Seit Montag, dem 11. Juli 2022, fließt kein Gas mehr durch die russische Pipeline Nord Stream 1. Offiziell, so heißt es von den Betreibern, aufgrund von Wartungsarbeiten. Doch rechnen Akteure aus Wirtschaft und Politik damit, dass auch nach der 10-tägigen Wartungsphase (fast) kein Gas mehr in die europäischen Abnehmerländer gelangt. Der Grund für die Befürchtung liegt aufgrund des Ukraine-Krieges auf der Hand. Russland könnte die nach dem 21. Juli unterbrochene Gaslieferung als Druckmittel gegen weitere westliche Interventionen für die ukrainische Seite im russisch-ukrainischen Krieg verwenden. Das dürfte dann vor allem Waffenlieferungen aus Deutschland und dem EU-Land betreffen. Aber auch die Anwartschaft für einen EU-Beitritt der Ukraine soll über ein Gasembargo ausgesetzt werden.
Kein Gas mehr über Nord Stream 1?
Die Nervosität vor diesem Hintergrund ist verständlich. Formal handelt es sich bei den Instandhaltungsmaßnahmen um jährliche Routinetätigkeiten, doch gehen manche Experten von einem politisch motivierten Manöver des Kreml aus.
Der Ausfall von Nord Stream 1 würde uns hart treffen. Zwar ist der wartungsbedingte Lieferausfall in den gegenwärtigen Berechnungen der Regierung eingepreist, doch eben nur bis zum von Nord Stream genannten Stichtag am 21. Juli 2022. Sollte sich der Ausfall zu einem Embargo ausweiten, leeren sich die österreichischen Gasspeicher auch nach und nach - und die Zielmarke für eine gesicherte Versorgung für die Heizsaison 2022/23 - sie liegt bei 80 Prozent gefüllten Gasspeichern - würde unterboten.
Wie berechtigt die Sorgen sind, beweist ein Blick nach Deutschland. Denn die Gasmenge, die seit Juni 2022 aus Russland nach Deutschland gelangt, wurde stark reduziert. Dies war allerdings begründet, denn eine fehlende Turbine musste im kanadischen Montréal gewartet werden, wurde aber aufgrund von Sanktionen nicht nach Russland geliefert. Ängste werden laut, dass der Staatskonzern Gazprom die gedrosselte Gasversorgung als Faustpfand verwenden könnte, um auf europäischer Seite eine Kehrtwende im russisch-ukrainischen Krieg zu erreichen. Explodieren die Gaspreise, sind über kurz oder lang auch keine Sanktionen mehr gegenüber den Bevölkerungen zu rechtfertigen.
Große russische Gasabhängigkeit in Österreich
Tatsächlich kommt nach Auskunft von E-Control-Vorstand Wolfgang Urbantschitsch 80 Prozent des in Österreich verbrauchten Gases aus Russland. Dabei macht der Gasverbrauch in österreichischen Haushalten einen wichtigen, aber nicht den bedeutendsten Anteil am Gasverbrauch aus. Etwa zu 25 Prozent wird Erdgas in privaten österreichischen Haushalten verbraucht, hingegen fast zu 60 Prozent in der Industrie (hier v.a. zur Erzeugung von Dampf und für Industrieöfen).
Alleine diese Zahlen machen die Abhängigkeit begreiflich. Und sie legen dar, dass es nicht nur um eine verstärkte Belastung der österreichischen Verbraucher geht, sondern der Wirtschaftsstandort als solcher durch ein russisches Gasembargo bedroht wäre.
Danach sieht es gegenwärtig aber (noch) nicht aus. Tatsächlich ist es so, dass Nord Stream 1 für den österreichischen Gasmarkt eine untergeordnete Rolle spielt, dafür aber vor allem die Ukraine-Route und die Yamal-Pipeline, welche über Weißrussland und Polen nach Österreich führt.
Alternativen zum russischen Gas
Österreichische Verbraucher befinden sich dadurch in einer mehrfach misslichen Lage. Zum einen belasten die Preiserhöhungen seit dem Jahreswechsel 2021/22 am Energiemarkt die Haushaltskassen ohnehin schon stark. Zum anderen drohen Regierungsmaßnahmen wie etwa die auf Oktober 2022 verschobene CO₂-Steuer als zusätzlicher Mühlstein.
Und billig zu haben ist die Energiewende für Österreicher auch nicht. Der etwa im Maßnahmenkatalog der Regierung definierte Gasausstieg bei der Haus- und Wohnungswärme ist zwar mit staatlichen Förderungen verbunden (etwa für Wärmepumpen, Pelletheizungen oder Solarthermie), bedeuten aber gleichwohl für österreichische Hausbesitzer große Investitionskosten.
Noch steht aber die Ukraine-Pipeline nicht zur Disposition. Sollte es unter dem Eindruck der westlichen Sanktionspolitik zu einem Embargo von russischer Seite kommen, droht auch in Österreich ein kalter Winter.